Aber so harmonisch ging es doch zumindest bei Dreharbeiten häufig gar nicht zu?
Diese Harmonie ging natürlich über Klippen. Deswegen sag ich ja: Wenn die Streitereien zu Ende waren und wir haben zusammengesessen und gegessen, war das sozusagen die Belohnung für den konstruktiven Streit. Und wenn ich mich mal aufgeregt habe, würde ich das nicht unbedingt als Streit bezeichnen. Das war einfach dem Streß der Situation geschuldet – daß das Material teuer war, daß die Zeit weglief, daß bestimmte Sachen nicht klappten. Aber daß ich grundsätzlich mit jemandem gehadert hätte oder Auseinandersetzungen theoretischer Art die Dreharbeiten lahmgelegt hätten, das gab es nicht.
Aber es gab Auseinandersetzungen zwischen den Darstellern?
Na ja, die Temperamente sind eben unterschiedlich, die Begabungen sind unterschiedlich... Das ist aber normal. Wenn du mit originellen Leuten drehst, sind die eben schwer zu bändigen. Ich kann mich aber nicht erinnern, daß jemand mit seiner Art Dreharbeiten geschmissen hätte. Oder daß ich abgebrochen und gesagt hätte: Mit euch kann ich nicht, ihr seid nicht konzentriert genug, ihr nehmt das nicht ernst, ihr nehmt mich nicht ernst. Nur ganz, ganz selten gelingt es jemandem, mich so zu reizen, daß ich mich nicht beherrschen kann.
Lothar Lambert 1980
Aus den Dingen, über die wir gesprochen haben, ergeben sich auch die Probleme mit der Selbstvermarktung? Weil du auch daran nur begrenzt bis gar nicht interessiert bist?
Das ist eben nicht lustbesetzt. Ich habe früher die Handzettel hergestellt, in den Studentenheimen verteilt, in den Kneipen auf die Tische geknallt. Das haben wir jahrelang mit Begeisterung gemacht. Auch ohne jeglichen meßbaren Effekt.
Die Vermarktung hat also stattgefunden, wenn sie Spaß gemacht hat. Aber zum Beispiel umfangreichere Pressearbeit...
Nein, auch zu Festivals zu reisen hat mir keinen Spaß gemacht. Das habe ich dann auch verweigert. Nach der Retro in Toronto bin ich ja jedes Jahr wieder eingeladen worden.
Obwohl deine Filme in den Siebzigern und auch noch in den Achtzigern beachtet wurden – für heutige Verhältnisse viel, für damalige Verhältnisse so, wie die Medien damals noch das gesamte Filmangebot beachtet haben –, hast du nie so richtig Aufnahme gefunden in den erlauchten Kreis der „Jungfilmer“, sondern bist immer eher der interessante Exot geblieben.
In erster Linie wegen der sexuellen Themen. Mancher Kritiker hat mich ja damals als „Unterleibsfilmer“ bezeichnet...
Aber es ist trotzdem darüber berichtet worden.
Damals wurde ja über alles berichtet, auch über jede kleine Theaterpremiere. Das machen die Zeitungen jetzt alle nicht mehr.
Es gab keine Kontakte zu anderen „Jungfilmern“? Außer zu Fassbinder, aber den hast du ja nicht mehr angerufen.
Ich war, wie gesagt, sowieso kein Gruppenmensch. Meine Zusammenarbeit erst mit Wolfram Zobus, dann mit Dagmar Beiersdorf hat mir gereicht. Aber es gab schon Kontakte, ich war ja nicht so autistisch, daß ich mit keinem was zu tun haben wollte.
Aber du hast den Kontakt auch nicht gesucht?
Weiß ich nicht. Ich hab mich wahrscheinlich auch nie gleichwertig gefühlt, sondern immer unterlegen. Dann suchst du ja nicht unbedingt den Kontakt, wenn du nicht masochistisch bist. Ich wurde eben immer so ein bißchen schräg angeguckt wegen der Themen meiner Filme.
Da dir die Reflexion so wenig liegt, kannst du vermutlich auch wenig dazu sagen, wo du dich in der deutschen Filmszene und Filmgeschichte einordnen würdest?
Was würde mir das bringen?
Jemand, dessen Werk und Arbeitsweise gewisse Parallelen zu dem aufweist, was du gemacht hast, ist Klaus Lemke. Haben dir seine Filme gefallen oder hast du dich darin wiedererkannt?
Da hab ich nur ganz wenige gesehen. Meine persönliche Vorliebe sind auch nie deutsche Filme gewesen, sondern Krimis.
Dafür hast du aber wenig Krimis gedreht.
Weil ich weiß, daß das das Schwerste ist, was es gibt. Das kannst du nicht mit links machen. Und auch nicht mit so billigen Mitteln. Die Idee muß zwingend sein. Aber wo soll so eine zwingende Idee herkommen, wenn sogar Leute, die als Krimischriftsteller hoch gelobt werden, Murks machen? Wenn ihre Geschichten zur Auflösung hin immer blöder werden? Stark beginnen sie alle, in ihrer Verzweiflung stellen sie schon die stärkste Szene voran, als Appetitanreger, und dann fangen sie erst richtig an. Es kommt ganz selten vor, daß mich noch ein Krimi fesselt.
Aber du suchst trotzdem weiter?
Ja, weil sie meine Angstlust bedienen. Aber mit deutschen Filmen habe ich einige Schwierigkeiten gehabt. Diese sozialkritischen englischen Filme hab ich früher gern gesehen.
Du hast mal gesagt, Robert Aldrich wäre eines deiner Idole. Dafür sehen deine Filme ziemlich wenig nach Robert Aldrich aus.
Man kann doch das eine lieben und etwas anderes machen.
Aldrich war also eine Vorliebe, aber kein Vorbild?
Nein, er war kein Vorbild.
Du läßt dich beim Filmemachen nicht von Tollem, das du gesehen hast, inspirieren oder zitierst?
Nein. Zitieren macht man vielleicht unbewußt. Das filmsprachliche Vokabular ist ja nicht unbegrenzt, da kommt man automatisch auf Konstellationen oder Bilder, die man irgendwo schon mal gesehen hat.
„Fräulein Berlin“ (1981): Dagmar Beiersdorf, Ulrike S., Helke Sander, Dennis Buczma
Aus den bereits genannten Gründen können wir keine Autobiographie von dir erwarten?
Auch deshalb nicht, weil ich mich ungern mit mir selbst beschäftige. Das ist eigentlich der Hauptgrund.
Aber ich denke, du führst seit Jahrzehnten detailliert Tagebuch?
Da geht’s nur um: Aufgestanden dann und dann, um soundsoviel Uhr Frühstück...
Das sind keine Reflexionen?
Nein, null. Nicht mal „geärgert“ oder so, sondern nur: Den und den getroffen, diesen oder jenen Film gesehen – dem gebe ich dann als Bewertung ein volles Pünktchen oder ein leeres –, halb zwei ins Bett. Alles nur so aus Gewohnheit.
Andererseits: Wer protokolliert schon sein gesamtes Leben? Über Jahrzehnte hinweg.
Seit 1966. Aber wenn ich in so ein altes Büchlein gucke, lese ich Namen, von denen ich nicht mehr weiß, wer das war. Also, das bringt gar nichts. Es ist nur – ich bin eben ein Gewohnheitsmensch. Ich bin unruhig, wenn ich diese Eintragung am Tagesende nicht gemacht habe.
Das ist also nicht für die Zukunft, sondern nur für den Moment?
Das ist für niemanden. Es ist ja auch immer dasselbe: Zehn Uhr aufgestanden, Frühstück im Café, Zeitungen gelesen, anderes Café, restliche Zeitungen gelesen. Oder in den Gropiuspassagen gewesen, gegessen, dort Zeitungen gelesen. Bei Albert Kittler Videoschnitt, nach Hause, DVD geguckt. Früher eben in den Park, wieviele Herren ich da hatte. Aus der Sicht eines Menschen, der immer aktiv ist, immer nach Erfolg strebt und vorankommen will, bin ich natürlich gescheitert. Aber aus meiner Sicht war das Leben doch gemütlich und hat mir Spaß gemacht, von meinen ganzen Ängsten abgesehen. Die natürlich letzten Endes alles verdorben haben, aber das ist eine andere Geschichte.
Das Gespräch wurde am 21. Dezember 2010 in Berlin geführt, die schriftliche Fassung im März/April 2011 von Lothar Lambert autorisiert.