So, wie du dich nicht gern erinnerst, reflektierst du auch nicht gern über dein Leben und Schaffen. Du bist generell kein Theoretiker, hast kein besonderes Bedürfnis, dich schriftlich zu äußern. Was ich seltsam finde für jemanden, der ein „gelernter Schreiber“ ist. Zumal Journalisten ja oft als verhinderte Schriftsteller gelten.
Den Gedanken, ein Buch zu schreiben, finde ich theoretisch auch reizvoll. Aber wenn, dann würde ich gern einen Krimi schreiben. Und da ich so viele Krimis gelesen habe, weiß ich, daß alle originellen Möglichkeiten schon hundertmal ausgeschöpft worden sind. Dann lese ich doch lieber noch ein paar, statt mich selber herumzuquälen. Ich habe auch gar nicht das Bedürfnis, mich zu beweisen. Ich glaube, was ich schreiben mußte, habe ich gut hingekriegt. Wenn ich heute alte Kritiken von mir lese, finde ich die immer noch ganz treffend, auch wenn man die Filme heute womöglich anders sehen würde. Also, ich hatte nie das Gefühl, daß ich in dem Beruf schlecht bin. Das hat mir gereicht.
Warum bist du, bei so wenig Begeisterung fürs Schreiben, eigentlich Journalist geworden?
Das ist eine ganz einfache Geschichte: Deutsch war das einzige Fach, in dem ich im Abitur eine Zwei hatte. Meine Lehrerin hatte mich immer für meine Aufsätze gelobt, ich hatte auch schon Gedichte geschrieben und so. Als sich dann die Frage stellte, was ich werden sollte, dachte ich mir: Ich bin gut in Deutsch, werde ich eben Journalist.
Und so hast du auch kein Bedürfnis verspürt, mal ein Buch über Film zu machen, über Schlager oder irgendwelche anderen Interessensbereiche? Oder über deine eigenen Filme zu schreiben?
Nein. Dazu habe ich zu gerne gelebt. Ich hab zwar entdeckt, daß das Malen auch eine tolle Sache ist, aber das Problem ist wie beim Schreiben, daß du da mit dir allein bist.
Aber wenn ich so schüchtern bin und Angst habe, vor Leuten aufzutreten, ist das doch ideal.
Ja, aber als ich soweit war, daß ich gedacht habe, ich könnte ein Buch schreiben, war ich doch nicht mehr schüchtern. Und trotz all meiner Angst saß ich nie im stillen Kämmerlein, sondern war immer draußen. Abends auf jeden Fall immer tanzen. Zuhause hat mich nie was gehalten. Aber auch beim Ausgehen habe ich nie die Kontrolle verloren: Ich bin immer mit dem letzten Bus nach Hause gefahren. Da haben andere erst angefangen. Das war mir rätselhaft. Noch heute ist halb zwei für mich die ideale Zeit zum Einschlafen. Ich bin ein Gewohnheitsmensch. Einmal habe ich durchgemacht und bin erst nach Hause gefahren, als es schon wieder hell war, das fand ich ganz schrecklich. Außerdem: Bis zum letzten Bus war ich auch ausgetanzt. Wenn du um zehn oder halb elf anfängst und tanzt ununterbrochen bis um eins, das reicht doch. Und das fast jede Nacht.
Dementsprechend wurden die schriftlichen Arbeiten schnell erledigt, und dann raus zum Tanzen?
Ja. Das war auch ein Wegtanzen der Lebensangst. Am Anfang, in dem heterosexuellen Lokal „Big Apple“, war ich auch mutig: Habe einfach allein getanzt. Das hatte es dort bis dahin nicht gegeben.
Lothar Lambert 1973 in „Ein Schuß Sehnsucht – Sein Kampf“
Ich fände das viel peinlicher, als sich auf eine Bühne zu stellen und eigene Texte vorzutragen.
Das hat mich nicht gekratzt. Ich war ja in einer Menge. Es hat sich kein Kreis gebildet, auf dessen Beifall ich gewartet hab, sondern es war sozusagen eine allgemeine Ekstase. Da war ich ganz bei mir. Ich fand es auch so schrecklich, jemanden aufzufordern und abgewiesen zu werden. Das habe ich nicht lange mitgemacht.
Und später dann in den Schwulenlokalen? Wurde da auch ausgiebig getanzt?
Jaaa! Und wie! Im „KC“. Oder im „WuWu“, schräg gegenüber, auf der anderen Seite der Kleiststraße. Das Tanzen war aber auch da für mich die Hauptsache. Bars, wo man nur rumhing, haben mich nicht interessiert. Jemanden kennenzulernen, war sozusagen das Nebenprodukt des Tanzens. Ein paar wichtige Leute in meinem Leben habe ich so kennengelernt, etwa Uwe Sange.
Wann endete deine Tanzleidenschaft?
Spät. Als ich in der Wielandstraße wohnte, bin ich noch ein paarmal in diesem kleinen Jazzlokal an der Kantstraße allein auf die Tanzfläche. Aber da hatte ich schon das Gefühl: Eigentlich ist es nicht mehr das Wahre. Ich hab mich dann schon von außen gesehen und mich nicht mehr hundertprozentig locker gefühlt, wegen des Alters.
Ab einem gewissen Alter hat man doch Narrenfreiheit...
Ich erinnere mich an alte Leute in meiner Jugend, die so waren, die fand ich widerlich. So wollte ich nicht enden. Irgendwann war auch das Bedürfnis zu tanzen weg. Erst war das noch so eine etwas durchwachsene Sache, der Wunsch, dennoch mitzuhalten. Jetzt verspüre ich überhaupt kein Bedürfnis mehr danach.
Und das Schreiben ist immer nur der Brotjob gewesen?
Der hat mein Bedürfnis zu schreiben abgedeckt. Wenn du das jeden Tag tun mußt...
Gerade dadurch kann ja das Bedürfnis entstehen, mal etwas anderes zu schreiben.
Ich war immer froh, wenn ich die Aufgabe bewältigt hatte. Ich konnte mir ja auch nie in Ruhe etwas ausdenken, sondern mußte immer schnell auf den Punkt kommen und das dann ganz rasch durchgeben an die Redaktion. Das war kein Zuckerschlecken.
Hat das dein Verhältnis zum Schreiben getrübt?
Geprägt, nicht getrübt. Das ging ja schon beim „Abend“ los, der mittags erschien: Je schneller du fertig warst, desto früher konnte die Zeitung ausgeliefert werden, desto größer war die Chance, mehr Exemplare zu verkaufen. So war ich von Anfang an auf Schnelligkeit getrimmt. Und auf Kürze. Ich könnte gar nichts Langes schreiben. Vor langen Texten hab ich Angst. Ich denke, je länger ein Text ist, desto größer ist die Gefahr, daß du etwas von dir selbst preis gibst. Das möchte ich gar nicht, jedenfalls nicht in schriftlicher Form. Im Film ist es eben eher gefiltert. Schreiben ist mir zu persönlich. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb ich meine alten literarischen Versuche, Filmentwürfe und unrealisierten Drehbücher, eigentlich nicht mehr lesen mag. Weil ich nicht mehr der bin, der das geschrieben hat, und ich kein großes Bedürfnis hab, mich in dieses naive, ambitionierte Ding, das ich damals war, noch einmal zu vertiefen. Das sind ja auch alles Sachen, in denen nichterfüllte Träume stecken. Andererseits hat die Konfrontation damit auch wieder was, weil das meine einzigen Texte sind, die nicht journalistisch-zweckgebunden waren.
Davon abgesehen hast du immer mit bemerkenswert wenig Ambition geschrieben, immer daran orientiert, was am wenigsten Arbeit macht. Du hast nicht das Bedürfnis, lange an Texten herumzubasteln, am Ende erschöpft, aber glücklich?
Nee, beim Film versuch ich ja auch, so wenig wie möglich zu machen und trotzdem einen guten Effekt zu erzielen.
Woher kommt das? Ist das deine Persönlichkeit?
Vielleicht auch eine gewisse Ungeduld. Dann hat schon wieder die Sexsuche gelockt oder das Tanzen oder weiß ich was.
Lothar Lambert 1981 in Dagmar Beiersdorfs „Dirty Daughters“
Aber es ist doch auch schön, Widerstände zu überwinden, eine Herausforderung zu meistern.
Ich kann mir das wirklich nur psychologisch erklären: Daß ich durch meine Mutter – trotz aller Unsicherheit, unter der ich als junger Mensch litt – soviel Grundvertrauen hatte oder eine Grundzufriedenheit – daß durch dieses Überangebot an liebevoller Zuwendung mein Ehrgeiz, der Zwang oder das Bedürfnis, etwas Größeres zu machen, grundsätzlich gering sind. Ich ruhe mehr in mir, statt zu irgendwelchen Gipfeln aufbrechen zu wollen. Ich bin einfach zufrieden, wenn mir nichts wehtut, wenn man mich in Ruhe läßt, wenn ich meine Zeitung habe, und früher, wenn ich abends tanzen gehen konnte. Wenn ich die paar Sachen, die mir Spaß gemacht haben oder noch Spaß machen, tun kann. Die waren ja auch immer verbunden mit Freundschaften, und da war ich immer froh, wenn sich alle verstanden haben. Manche blühen auf, wenn Streit und Zank ist, die finden das kreativ – das war nie mein Ding. Deshalb habe ich auch immer gesagt: Das Essengehen nach dem Drehen ist schöner als das Drehen selbst. Ich bin relativ selbstgenügsam. Mit wenig Interesse an Veränderungen. Weil Veränderungen ja auch wieder angstbesetzt sind.
Deshalb ändert sich auch an deinen Filmen relativ wenig?
Ja. Und deshalb bin ich nie Veränderungen in Politik und Gesellschaft hinterhergehechelt.
In einem Interview zur diesjährigen Berlinale hast du erzählt, du hättest immer SPD gewählt. Die galt ja zumindest mal als die Partei, die für Veränderungen steht...
Daß es Veränderungen bedarf, ganz dringend, sieht man ja jeden Tag. Darum geht es nicht. Sondern um Veränderungen in meinem Leben. Die SPD hätte mein Leben nicht durcheinandergeschüttelt.